Der Tag nach unserem ersten Überfahrt-Versuch nach Bornholm war windig und verregnet. Mittags lockte uns nur die Lust auf Kakao und Apfelstrudel mit Vanilleeis aus dem Boot und ins Café an der Ostmole. Man sitzt dort in gemütlichen Sesseln direkt hinter großen Glasscheiben mit einem weiten Blick über die an jenemTag graue und aufgewühlte Ostsee. Der Horizont verschwamm immer wieder hinter Regenschauern. Am späten Nachmittag besichtigten wir die H.M.S. Otus, ein britisches U-Boot, das im Stettiner Hafen als Museumsschiff liegt. Selten hat man die Gelegenheit, so viele Ventile, Knöpfe, Rohre und Kabel auf so engem Raum zu sehen. Durchaus faszinierend, aber leider erfährt man nicht viel über das Boot und seine Geschichte. Abends luden wir die Kaffee-Frühstück-Stegnachbarn auf ein Bierchen zu uns ein. Sie wollten am nächsten Tag auch nach Bornholm und wir verabredeten lose eine gemeinsame Überfahrt. Es sollte unser bisher längster Segeltag mit Luzie werden.
Der Wetterbericht für den 5. Juli versprach stabilen Nordwestwind der Stärke 5, abnehmend auf 4 gegen Abend und Wellen von 1,4 Meter Höhe; deutlich angenehmere Verhältnisse, als am Mittwoch geherrscht hatten. Wir legten um 9 Uhr morgens ab, kurz nach dem Traditionsschiff Greif, das noch lange in Sicht blieb. Erneut wurden die vorhergesagten Wellen und der Wind erst beim Verlassen der Landabschattung spürbar. Diesmal schien aber die Sonne, die Wellen waren deutlich niedriger und die vereinzelten Böen vergleichsweise schwach. Mit voll gesetztem Großsegel fuhren wir glücklich über unseren letzten Umkehrpunkt hinweg. Die Kreidefelsen wurden kleiner, vor uns wurde ein Windpark langsam größer, dessen Anblick uns über Stunden hinweg begleitete. Gegen 14:30 Uhr überquerten wir jubelnd die Deutsch-Dänische Grenze. Das Setzen der Gastlandflagge verschoben wir auf später, auf ruhigeres Wasser. Kurz darauf rief Christian: „Land in Sicht!“. Die Südküste von Bornholm zeichnete sich als schwacher grauer Streifen am Horizont ab. Es dauerte noch Stunden, bis erste Details, Bäume, reife Getreidefelder und Häuser erkennbar wurden. Im Wechsel steuerten und dösten wir. Mit der Zeit wird es anstrengend, vom Seegang ständig in Bewegung gehalten zu werden. Wir wünschten uns Ruhe und volle Kontrolle über die eigenen Bewegungen. Beim Steuern muss man aufmerksam und aktiv bleiben, um jede Welle gut zu nehmen und den Kurs korrekt zu halten. Es ist zugleich abenteuerlich und eintönig.
Mit unseren Mitseglern hatten wir Nexø als Ziel ausgemacht, einen großen, gut geschützten Hafen an der Ostküste von Bornholm. Nach etwa 10 Stunden Fahrt kam der Hafen in Sicht und wir tauchten in die Landabschattung von Bornholm ein. Aus der rauen Überfahrt wurde genüssliches Küstensegeln im Abendlicht. Unsere Mitsegler hatten einen direkteren Weg genommen als wir und waren daher vor uns. Sie schrieben uns, aus der Nähe betrachtet sähe Nexø so abschreckend aus, dass sie wenige Seemeilen weiter nach Svaneke wollten. Nach mehreren Tagen in Sassnitz hatten wir auch Sehnsucht nach einem hübschen, kleinen Hafen und die großen Kühltürme und Industrieanlagen um Nexø sahen tatsächlich nicht sehr einladend aus. Deshalb segelten wir unseren neuen Segelfreunden im schwindenden Abendlicht hinterher. Die Sonne versank hinter Bornholm und tauchte alles in goldenes Licht. Die Dämmerung kam zum Glück langsam.
Geleitetet vom Leuchtturm und Richtfeuer von Svaneke liefen wir im letzten Licht des Abends in den Hafen von Svaneke ein. Der Hafen war gut gefüllt und überraschend mussten wir ein für uns neues Anlegemanöver ausprobieren: Anlegen an einer Heckboje. Nun liegen wir seit zwei Tagen direkt an der Hafenpromenade.
Svaneke ist ein bezauberndes Städtchen mit vielen bunten Fachwerkhäuschen, schmalen Gassen, Cafés und kleinen Geschäften. Ab 10 Uhr öffnet der kleine Allerlei-Laden vor unserem Bugspriet. Dann rollen busseweise Touristen in den Hafen und verteilen sich schnatternd entlang der Küste. Ansonsten ist es ruhig. Um uns herum liegen mehrere deutsche Boote, ein paar Dänen, Schweden und Polen. Das Hafengeld bezahlt man an einem Automaten. Die Hafengebühr beträgt umgerechnet fast 30 Euro pro Nacht. Dafür ist immerhin alles inklusive: Strom, Wasser, WLAN, Duschen ohne Zeituhr, Waschmaschine und Trockner. Wir haben noch Gutscheine für 6 Übernachtungen auf Bornholm von Luzies Vorbesitzern und freuen uns sehr, den Liegeplatz damit kostenlos zu bekommen.
Mit dem Anlegen in Svaneke hatten wir das Gefühl, dass unsere Reise nun so richtig begonnen hatte. Es ist so beglückend! Gestern haben wir ausgeschlafen und sind dann ziellos streunend die Küste entlang gewandert und durch den Ort gelaufen. Es ist überall wunderschön: Die Küste ist felsig, zwischen den Steinen blühen Gräser und Sommerblumen in herrlichen Farben. Jedes Haus ist einzigartig und auf seine Art entzückend. Am Marktplatz verbrachten wir lange Zeit in einem Bonbon-Geschäft, in dem die Produktion live vorgeführt wurde. Es war mollig warm und duftete betörend nach Karamell. Wenn eine Fuhre fertig war, wurde eine Schale noch warmer Bonbons zum Kosten herum gereicht. Das reinste Paradies.
Heute wollten wir entlang der Küste nach Listed wandern, dem nächsten Örtchen. Es war aber so herrlich, dass wir noch 2,5 km weiter bis Bolshaven liefen. Der Wanderweg führte über Felsen und Schafweiden und durch blühende Sommerwiesen. Die Ostsee leuchtete heute tiefblau und lange Wellen brandeten gegen das Steinufer. Auf dem Rückweg gönnten wir uns in Listed Kaffee und Kuchen und wurden dann von einem freundlichen Busfahrer nach Svaneke zurückgebracht, obwohl wir nicht für den Bus bezahlen konnten. Bisher hatten wir nie Bargeld gebraucht – alles schien hier mit Kreditkarte zu klappen. Busfahren aber offenbar nicht. Bei der Ankunft hoben wir deshalb direkt ein paar Dänische Kronen ab, um künftig gerüstet zu sein.
Heute Abend wollten wir eigentlich noch zum nahen Leuchtturm spazieren und von dort den Sonnenuntergang genießen. Es hat aber vor einer Stunde begonnen zu regnen und bisher sieht es nicht so aus, als würde es noch einmal aufhören. Mit dem prasselnden Regen ist es unter Deck doppelt gemütlich.