Der letzte Eintrag ist genau eine Woche her; es scheint aber eine Ewigkeit dazwischen zu liegen. Gerade sitzen wir in Decken gehüllt im Cockpit und blicken über das Heck unseres Bootes auf spiegelglattes Wasser, felsige Inselchen und bewaldete Ufer. Wir haben an der Ostküste der Insel Tjärö festgemacht. Das erste Mal liegen wir damit an Felsen. Zum ersten Mal ist der Anker im Einsatz. Es gibt viele erste Male zur Zeit.
Seit vorgestern, Christians Geburtstag, sind wir endlich in Schweden! Beide zum ersten Mal, übrigens. Nach einem kleinen Geburtstagsfrüstück sind wir gegen 9 Uhr von Allinge auf Bornholm aufgebrochen. Das aufregendste an der Überfahrt nach Schweden war das Durchqueren einer breiten Fahrrinne, auf der große Containerschiffe beeindruckend schnell in beide Richtungen verkehren. Kreuzen darf man die Fahrrinne nur senkrecht. Der Wind schlief kurz vor unserer Einfahrt in die Fahrrinne ein, sodass wir den Außenborder anschalten mussten, um manövrierfähig zu bleiben. Der Weg durch die Rinne dauerte für uns über eine Stunde. Es zogen sechs große Frachtschiffe an uns vorüber, für die wir jeweils ausweichende Schlenker fuhren. Eine Zeit lang konnten wir hinter der Fahrrinne noch segeln, aber abends war so wenig Wind, dass wir erneut nur mit dem Außenbordmotor vorankamen. Ohne den stabilisierenden Winddruck wurden wir von den Wellen ordentlich durchgeschaukelt. Der Außenborder heulte bei jeder allzu steilen Welle unangenehm auf. Wir mussten mehrmals unterwegs Benzin aus unseren Reserve-Kanistern nachtanken und bei einer dieser Aktionen verloren wir den Tankdeckel unseres Motors. Er versank sehr schnell und nun ziert eine mit Gummiband gespannte Gefriertüte die Motorhaube. Wir hoffen, dass wir unterwegs in einer größeren Stadt Ersatz bekommen.
Gegen 20 Uhr kamen wir endlich, einigermaßen gequält im Hafen Hanö an. Hanö ist eine kleine schwedische Insel mit etwa 40 Einwohnern. Der Yachthafen bietet laut Beschreibung ebenso vielen Yachten Platz. Er war schon gut gefüllt und wir legten zum ersten Mal längsseits an einem anderen Segelschiff an. Die Eigner, ein freundliches Ehepaar, unterbrachen ihr Abendessen, um uns mit den Leinen zu helfen; es war eins der einfachsten Anlegemanöver, die wir bisher hatten. Unser Nachbarschiff war an einer schwedischen Segelyacht festgemacht, die ihrerseits am Steg vertäut war. Es fühlt sich etwas merkwürdig an, über fremde Schiffe klettern zu müssen, um an Land zu kommen. Dafür ist es nett, direkte Nachbarn zu haben.
Am nächsten Tag blieben wir im Hafen – es war erneut Flaute gemeldet und wir hatten keine Lust auf Motorfahrt. Außerdem ist der Hafen von Hanö sehr hübsch, mit klarem Wasser und netten roten Holzhäuschen, in denen wunderschöne, gefließte und mit frischen Schnittblumen und Bildern geschmückte Duschen und Toiletten untergebracht sind.
Wir verbrachten den Vormittag mit ausschlafen und Bootsarbeit: Spülen, Wasser auffüllen, Batterien laden, Deck putzen, leck gewordene Schraublöcher abdichten, lose Scharniere festziehen. Dann durchstreiften wir Hanö auf einigen der im Reiseführer beschworenen idyllischen Fußpfaden, bis es anfing zu regnen. Es ist eine abwechslungsreiche Insel, mit Wäldchen, Weideflächen und Felsen. Am höchsten Punkt steht ein Leuchtturm, der 1906 gebaut wurde und noch immer das hellste Feuer der Ostsee haben soll.
Nachmittags füllte sich der Hafen schnell mit Wochenendgästen. Die Nacht verbrachten wir als mittleres Boot eines Dreierpäckchens: am Steg lag nun die Yacht des freundlichen Ehepaares (deren Nachbar-Yacht hatte morgens gekonnt abgelegt) und an Luzie hatte abends eine schwedische Familie mit einer deutlich größeren Yacht angelegt. Die waren ebenfalls freundlich, hatten aber alle einen erstaunlich festen Tritt, unter dem unsere Luzie sehr schwankte und knarzte.
Am nächsten Morgen verließ ein Großteil der Schiffe geradezu fluchtartig den Hafen, um das Wochenende voll auszukosten. So machten es auch unsere schwedischen Nachbarn und wir konnten gegen 10 Uhr ganz gemütlich lossegeln. Wir wollten weiter nach Nordosten und hatten uns als ersten möglicherweise-Schären-Ankerort-mit-Hafen-Alternative die Insel Tjärö ausgeguckt. Es war so leichter Wind, dass wir beschlossen, probeweise (und natürlich zum ersten Mal) unseren Spinnaker zu setzen. Der Spinnaker ist ein großes Leichtwindsegel, bei uns leuchtend blau und gelb. Wenn es geklappt hätte, könntet ihr hier nun wahrscheinlich ein Foto bewundern. Leider klappte es nicht. Das Segel blähte sich nicht in die erwartete Richtung und falsch gesetzt rieb es an den Wanten, weshalb wir es schnell wieder bargen. Dabei rutschte uns das Fall durch (das Seil, mit dem man das Segel zur Mastspitze hochzieht). Es lässt sich nur wieder einfädeln, indem man auf den Mast klettert; unsere Spinnaker-Experimente hatten sich für diese Fahrt also erledigt.
Grund für die Verwirrung war unser Verklicker: Der Pfeil auf unserer Mastspitze, der uns die Windrichtung anzeigt, war heute völlig unzuverlässig. Möglicherweise lag es an den vielen Spinnenweben, in die er an unserem Ruhetag eingewoben worden war (wir haben sehr fleißige, große Spinnen an Bord…), jedenfalls zeigte er auch die restliche Fahrt immer wieder in Richtungen, die nicht mit dem Wind in unseren Segeln übereinstimmen konnten.
Wenig später erkannten wir an dem sich rasch nähernden Horizont, dass wir auf eine Nebelwand zufuhren. Nebel hatten wir auch morgens schon vom Hafen aus beobachtet. Die tiefliegenden, dichten Schwaden hatten sich morgens so überraschend aufgelöst, wie sie gekommen waren. Die nun vor uns liegende Wand verflüchtigte sich nicht. Laut unserem Reiseführer ist solcher Nebel ein häufiges Phänomen in der Hanöer Bucht. Für uns war es das erste Mal Segeln im Nebel. Nervös legten wir unsere Tröte bereit, schalteten AIS und Funk ein und zogen die Rettungswesten enger. Mit dem Eintauchen in die Nebelwand schien der Horizont sich um uns zu schließen. Wir hatten etwa 20 Meter Sicht in alle Richtungen, dahinter verlor sich das Wasser in grauem Dunst. Die Sonnenstrahlen wärmten kaum noch, aber wir sahen weiterhin blauen Himmel über uns. Wir lauschten und spähten in den Nebel, beobachteten die Geräte und gaben im Abstand von etwa zwei Minuten unsere Schallsignale: Einmal lang, zweimal kurz schallte unsere Tröte mit erheiternd unprofessionellem Klang über das Wasser. Abgesehen von einem sehr schnellen Motorboot und einem gerade noch sichtbarem Segelboot begegneten wir niemandem. Der Nebel lichtete sich nach etwa halber Strecke und wir legten in schönem Sonnenschein gegen 15 Uhr am felsigen Ufer von Tjärö an.
Der Nachmittag und Abend verging wie im Flug. Christian kletterte auf den Mast und zog statt des verlorenen Falls eine längere Leine ein, die wir hoffentlich beim nächsten Spinaker-Experiment besser sichern können. Wir machten eine kleine Erkundungstour über die Felsen der Insel, aber beeindruckende Regenwolken trieben uns bald wieder zurück zum Boot. Wir wissen deshalb nur, dass es auf der anderen Seite der Insel deutlich einsamere Buchten gibt und überall verteilt schöne Grillplätze, dass der kleine Laden bei der Jugendherberge und dem Restaurant am Gastliegersteg nur zuckrige Getränke und Eis, aber kein frisches Gemüse hat, das wir uns so gewünscht hätten, und dass beeindruckende Tiere auf der Insel wohnen müssen, die riesige Fladen hinterlassen.
Inzwischen ist die Sonne untergegangen und es hat begonnen zu regnen. Abgesehen von den leise prasselnden Regentropfen auf unserem Deck ist es vollkommen still.